Frage an Dagmar Freitag von Michael F. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Dagmar Freitag,
als Fachsprecherin für das Ressort Sport und als Bundestagsbeauftragte meines Wahlkreises frage ich sie, wie sie die gegenwärtige Situation hinsichtlich der olympischen Spiele sehen.
Unser Bundespräsident flieht regelrecht vor einer klaren Position und aufgrund von angeblichen Zeitmangel und verweigert ein Treffen mit dem Dalai Lama. SPD-Chef Kurt Beck hält von diesem "Scheiß" ja wohl ohnehin nichts. Finden sie es richtig die Bedeutung der olympischen Spiele als friedliches Beisammensein und Miteinander dadurch zu untergraben, dass man den Sportlern bei den olympischen Spielen verbietet ihre Meinung zur Tibetfrage zu äußern ?
Wie können Sie und wie kann die SPD die Position eigentlich verantworten, dass die Menschenrechte an zweiter Stelle stehen? Friedensnobelpreisträger werden abgewiesen um China nicht zu verärgern, keine Einwende dagegen, dass man Sportlern das Recht auf freie Meinungsäußerung nehmen will. Olympische Spiele als Zeichen des Friedens aller Nationen und im andren Teil des Landes: Völkermord, Entmündigung und Unterdrückung.
Die Sportlerverbände kümmern sich um die Moral nicht weil sie ihre Sponsoringverträge haben und Geld brauchen/wollen.
Sollte man bei einem Werteverfall, wie wir ihn in Deutschland erleben, nicht in Erwägung ziehen, dass man sich auch für Menschenrechte einsetzen muss?
Russland oder EU-Nachbarländer weisen wir auch auf Verfehlungen hin aber bei China beugt man sich und meidet aus - was?- aus Angst? den Dalai Lama oder aus Unterwürfigkeit vor China?
China muss sicher seine Probleme selbst lösen aber ich würde von ihnen gerne wissen, weshalb man für China von Menschenrechten, Menschenrechtlern und dem Rechte auf freie Meinungsäußerung Abstand nimmt.
Für mich hat die deutsche Politik als Repräsentant der Demokratie und Freiheit hier ein sehr schlechtes Bild geliefert.
Sehr geehrter Herr Filusch,
vielen Dank für Ihre Frage, die ich gern beantworte. Dazu möchte ich auf eine umfassende Darstellung der aktuellen Einschätzung des Konfliktfeldes "Olympische Spiele in Peking und die Einhaltung der Menschenrechte" verweisen, die die SPD-Bundestagsfraktion Ende April veröffentlicht hat, die unter http://www.spdfraktion.de/cnt/rs/rs_datei/0,,9576,00.pdf im Internet abzurufen ist und die ich nachfolgend zitiere:
Der Tibet-Konflikt: Zwischen Menschenrechten und Olympischen Spielen
Seit einigen Wochen schwelt der chinesisch-tibetische Konflikt. Unter der starken Hand Chinas protestieren tibetische Bürgerinnen und Bürger für mehr Rechte und gegen das rigorose Vorgehen der chinesischen Regierung. Auf tibetischer wie chinesischer Seite kommt es dabei zu Gewaltanwendung. Vor diesem Hintergrund entfaltet sich international eine breite Diskussion: Inwiefern können Boykottmaßnahmen gegen die Olympischen Spiele Peking zu einer Änderung der Tibet-Politik bewegen? Wie können diese Boykottmaßnahmen allgemein zu einer verbesserten Menschenrechtslage in China beitragen? Im Folgenden beleuchten wir diese Diskussion aus außen-, menschenrechts- und sportpolitischer Sicht der SPD-Bundestagsfraktion.
Außenpolitik: Den Dialog und nicht die Isolation fördern**
Gewalt, wie sie sich vor Kurzem vor allem in Tibet, aber auch während des Olympia-Fackelzuges vor großer Öffentlichkeit entladen hat, kann und darf kein Mittel sein, um dem derzeitigen Konflikt zu begegnen. Gewaltexzesse sind zu verurteilen -- egal von welcher Seite sie ausgehen. Außenminister Steinmeier hat sich unmittelbar nach Ausbruch der Gewalttätigkeiten und der nicht akzeptablen Überreaktion der chinesischen Sicherheitskräfte mit seinem chinesischen Amtskollegen in Verbindung gesetzt. Sein unmissverständlicher Appell: Keine Gewalt sowie Transparenz über die Lage im Land und Aufnahme des Dialogs, um zu einer für beide Seiten tragfähigen Lösung zu kommen. Ein weiteres deutliches Signal ging auch vom Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung aus. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat die für Mai geplanten Regierungsverhandlungen vorerst ausgesetzt. Man muss deutlich sagen: Die derzeitige Radikalität der tibetischen Bewegung gegen Chinesen, ist eine Art des Vorgehens, die nicht vom Dalai Lama befürwortet wird. Er fordert eine gewaltfreie Lösung mit tatsächlicher religiöser und kultureller Autonomität für sein Volk. Doch der Dalai Lama braucht Zeichen des Erfolgs für seine friedvolle Strategie. Ohne diese wird er die jungen Menschen, die immer gewaltbereiter sind, nicht überzeugen können. Die Ereignisse in Tibet verdeutlichen, wie dringlich es ist, den Gedanken des Dialogs wieder aufzugreifen. Für die chinesische Seite gilt: Man wird die Haltung der Machthaber außenpolitisch nicht verändern können, wenn man sie mit Boykottmaßnahmen und Sanktionen überzieht. Die Vorstellung, die Herrscher in China zu etwas zwingen zu können, ist abwegig. Ein Boykott der olympischen Spiele würde das Gegenteil dessen bewirken, was erreicht werden soll, er würde dem konservativen Teilen innerhalb der Kommunistischen Partei den Rücken stärken. Die Folge wäre, dass China in die Selbstisolation zurücksteuern würde, das kann nicht in unserem Interesse sein. Wir wollen das China sich öffnet. Deswegen setzen wir auf den Dialog zwischen beiden Konfliktparteien.
Menschenrechte: Forderung nach mehr Menschenrechten in China ist legitim**
Die Entscheidung im Jahr 2001, die Olympischen Spiele an Peking zu vergeben, wurde von Menschenrechtsorganisationen weltweit kritisiert. Sie prangerten eine lange Liste von Menschenrechtsverletzungen in der Volksrepublik China an: die Verfolgung und Unterdrückung von politischen Abweichlern sowie von ethnischen und religiösen Minderheiten, die exzessive Anwendung von Todesstrafe, Administrativhaft, Zwangsarbeit und Folter, fehlende Meinungs- und Pressefreiheit sowie die Diskriminierung von Wanderarbeitern. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) rechtfertigte die Entscheidung damals mit der "moralischen Verpflichtung", die die chinesische Regierung eingegangen sei. Danach würden die Olympischen Spiele zur Verbesserung der Menschenrechtslage im Land beitragen. Sieben Jahre später bestehen diese Menschenrechtsverletzungen weiterhin. Dennoch bewerteten China-Experten bei einer Anhörung des Deutschen Bundestages die politische Entwicklung dieses riesigen Landes differenziert und warnten vor einer pauschalen Verurteilung. Für sie stellt sich die Menschenrechtsbilanz widersprüchlich dar: Während es gerade im Zusammenhang mit den Bauarbeiten für die Olympischen Spiele zu rechtsverletzenden Zwangsenteignungen und -umsiedlungen kam, wurden über die Jahre hinweg bei der Justizreform beachtliche Fortschritte erzielt. Mit solchen unspektakulären Reformen ist zwar längst noch keine Rechtsstaatlichkeit erreicht, aber die Richtung stimmt. Tibet darf vom Ausland nicht für Kritik an China instrumentalisiert werden. Das schadet dem berechtigten Anliegen der Tibeter. Vielmehr muss in einer geeigneten Kombination aus öffentlicher Kritik und stiller Diplomatie alles getan werden, um die Menschenrechtslage in China insgesamt zu verbessern. Davon könnten mittelfristig viele Menschen profitieren: politische Andersdenkende, unabhängige Journalisten, politische und andere Gefangene, Tibeter, Uiguren, Angehörige von Volkskirchen oder Falun Gong-Anhänger. Die von der chinesischen Regierung propagierte "Gesellschaft in Harmonie" kann nur eine Gesellschaft sein, in der die Menschenrechte geachtet werden.
Sportpolitik: Der Sport muss sein politisches Gewicht nutzen**
Die olympische Bewegung ist in einer Krise -- so sieht es mittlerweile selbst IOC-Präsident Rogge. Die XXIX. Olympischen Spiele werden in wenigen Monaten in Peking eröffnet. Dass das Sportfest angesichts der aktuellen Spannungen zwischen China und Tibet und den weltweiten Protesten kein ungetrübtes sein wird, zeichnet sich schon jetzt ab. Politik und Sport sind gefordert, die Einhaltung der Menschenrechte einzufordern. Das IOC erhoffte sich bei der Entscheidung für Peking eine Öffnung des Landes mit nachhaltigem Wertewandel. Ein bedeutendes Ziel und eigentlich logische Konsequenz aus der Olympischen Charta. Denn dort steht festgeschrieben, dass das selbsterklärte Ziel der Olympischen Bewegung, das auf der "Achtung fundamental und universell gültiger ethischer Prinzipien beruht", ist, "zum Aufbau einer friedlichen und besseren Welt beizutragen". Angesichts der Menschenrechtsverletzungen steht auch die internationale Sportgemeinschaft in der Verantwortung, die Versprechen der chinesischen Regierung nachhaltig einzufordern. Wenn weiterhin Oppositionelle und Demonstranten verhaftet, die Medien an einer unbeeinträchtigten Berichterstattung gehindert oder Einreisebestimmungen weiter verschärft werden, muss das IOC eine deutlichere Sprache sprechen als bisher. Sport und Politik müssen die Chance des Dialogs ergreifen, die sich durch die dank der Olympischen Spiele geöffnete Tür ins Reich der Mitte bieten. Das IOC ist im Interesse der Athleten aufgefordert, unmissverständlich im Sinne der Olympischen Idee kritische Äußerungen zuzulassen -- solche haben mit Propaganda schließlich nichts zu tun. Der Deutsche Olympische Sportbund ist gefordert, seinen unbestritten großen Einfluss auf das IOC auch an dieser Stelle geltend zu machen. Hinfahren, hinschauen, hinweisen -- nur so kann die Chance, die die Olympischen Spiele bietet, genutzt werden!
Mit freundlichen Grüßen
Dagmar Freitag