Frage an Cornelia Prüter-Rabe von Martin P. bezüglich Familie
Hallo Frau Prüter-Rabe,
wie stehen Sie zu den Diskussionen zur Jugendhilfe für delinquene Jugendliche? (FIT / GUF schließen...) Wo sehen Sie Besserungsbedarf? Wie können Sie sich eine Veränderung vorstellen? Wie gewinnen Sie Informationen zur aktuellen´Lage?
Herzliche Grüße
Martin Pfennigschmidt
Sehr geehrter Herr Pfennigschmidt,
endlich komme ich zur Beantwortung Ihrer sehr wichtigen Frage nach dem richtigen Umgang mit straffällig gewordenen Jugendlichen.
Zunächst zur Sachlage: Es ist durchaus strittig, ob die Jugendkriminalität insgesamt zugenommen hat. Fest steht aber, dass die Gewaltbereitschaft gestiegen ist. Auf diese Entwicklung muss reagiert werden. Die Hysterie, die jetzt an den Tag gelegt wird, ist aus meiner Sicht übertrieben und schädlich. Wir müssen uns sachlich mit den Problemen auseinander setzen und diese nicht für Angstkampagnen in Wahlkampfzeiten missbrauchen.
Um der Entwicklung entgegen zu wirken, müssen Instrumente gewählt werden, die Einfluss auf die Entwicklung und Persönlichkeit der Jugendlichen nehmen. Lernen sollten die Betroffenem als erstes, dass Handeln Konsequenzen hat und das zeitnah zur Straftat und nicht erst nach vielen .Monaten. Im Jugendstrafrecht kommt es aber nicht nur auf die Geschwindigkeit an: wichtig ist, dass alle beteiligten Institutionen gut zusammenarbeiten. Sonst gehen wichtige Informationen und die Chance für aussichtsreiche Interventionen verloren. Gute Kooperation ist nur machbar, wenn die beteiligten Richter, Staatsanwälte, Polizisten und Fachkräfte der Jugendhilfe sich engagieren und die notwendige Zeit haben, also personell gut ausgestattet sind. Hier sehe ich Handlungsbedarf.
Junge Menschen, die schwere Gewaltverbrechen begangen haben, werden aus gutem Grund zu Jugendstrafen verurteilt. Bei ihnen steht laut Grundgesetz neben der Sühne für das begangene Unrecht die Erziehung und soziale Reintegration im Mittelpunkt des Vollzuges. Nur so kann der Gefahr begegnet werden, dass Menschen, die am Anfang ihrer Entwicklung stehen, für den Rest ihres Lebens abgeschrieben werden. Statt einer vermehrten Anwendung des Erwachsenen-Strafrecht bei Heranwachsenden zu fordern, halte ich das Gegenteil für richtig, denn das Jugendstrafrecht ist nicht „milder“ sondern hat das bessere und flexiblere Sanktionsspektrum. Es kennt mehr als Geld- und Freiheitsstrafe und kann daher auch sinnvoller reagieren. Höhere Strafen sind aus meiner Sicht völlig verfehlt, sie dienen nicht einmal der Abschreckung. Nach gesicherten Erkenntnissen der empirischen Sozialforschung im In- und Ausland sind helfende und die soziale Integration fördernde Reaktionen erfolgreicher als Freiheit entziehende wie die Jugendstrafe oder der Jugendarrest.
Die derzeit kursierenden Forderungen, wie Warnschuss-Arrest, Ausdehnung der Jugendstrafe von 10 auf 15 Jahre, regelmäßige Anwendung von Allgemeinem Strafrecht auf Heranwachsende sind genau die falschen Antworten. Derartige Maßnahmen tragen mehr zur Entstehung, Stabilisierung und Verlängerung krimineller Karrieren bei, als zu ihrer Vermeidung. Sie erhöhen die gesellschaftlichen Kosten, nicht nur weil später Strafvollzug teurer als vorherige präventive Arbeit ist, sondern vor allem auch, weil sie mehr statt weniger neue Opfer zu Folge haben. Statt einer Ausweitung freiheitsentziehender Sanktionen brauchen wir ein flächendeckendes qualitativ gutes Jugendhilfe-Angebot gerade auch für straffällig gewordene Jugendliche und junge Erwachsene. Die Versorgung mit den so genannten ambulanten Maßnahmen ist in den letzten Jahren aufgrund der Finanzprobleme zurückgegangen. Die Finanzierung dieser sinnvollen und wichtigen Angebote muss gesichert werden. Dafür wollen wir GRÜNE sorgen.
Die geschlossene Einrichtung Feuerbergstraße ist schon dem Grunde nach der völlig falsche Weg. Wenn man dann noch die skandalöse Betreuung dazu nimmt - z.B. wurden die Jugendlichen ohne ärztliche Indikation mit Psychopharmaka ruhig gestellt und ein selbstmordgefährdeter Jugendlicher nicht psychologisch betreut, sondern lediglich vom Personal der U-Bahn-Wache bewacht, dann ist die sagenhafte Geldverschwendung fast noch das kleinste Übel. Fest steht aber, dass die hohen Ausgaben für die Feuerbergstraße und die damit verbundenen Einsparungen im Bereich der Hilfen zur Erziehung sinnvolle Maßnahmen verhindert haben und so die Situation in Hamburg verschärft wurde.
Auch das Familieninterventionsteam (FIT) hat nicht die gewünschten Erfolge gebracht. Die beste Kriminalitätsprävention ist immer noch eine gute Sozial- und Intergrationspolitik. Schließlich sind junge Menschen mit Migrationshintergrund nicht per se krimineller als Einheimische. Sie werden statistisch häufiger strafrechtlich auffällig, weil sie im Durchschnitt auch in schwierigeren Lebenslagen aufwachsen. Die Kriminalität von Einheimischen und Zugewanderten unterscheidet sich kaum noch, wenn die sozialen Variablen in der Statistik angeglichen werden. Die höhere Kriminalitätsbelastung von jungen Zuwanderern ist also vor allem eine Frage der Integration und der Chancenverteilung. Das derzeitige Schulsystem ist bekanntlich einer der größten Hemmschuhe für eine erfolgreiche Integrationspolitik. Hier haben die GRÜNEN seit Langem sehr gute Konzepte.
Erwiesen ist, dass die meisten kriminellen Jugendlichen sozial ausgegrenzt und in Armut aufgewachsen sind. Sie haben eigene Gewalterfahrungen gemacht und haben in unserem jetzigen Bildungssystem kaum eine Chance auf einen höheren Bildungsabschluss und somit auch keine Chance auf einen Ausbildungsplatz – ihnen fehlt jede Perspektive. Diese Jugendlichen dürfen nicht allein gelassen werden, sie brauchen Hilfe. Ihnen müssen niedrigschwellige Angebote gemacht werden, um aus dem Kreislauf von Gewalt und Strafe auszubrechen. Das muss gezielt geschehen, aber auch attraktive Angebote in den Stadtteilen sind wichtig, z.B. können die Häusern der Jugend und Jugendzentren dazu beitragen, die Freizeit sinnvoll und mit Spaß zu erfüllen.
Aber auch die Eltern brauchen ein funktionierendes und niedrigschwelliges Hilfsangebot, angefangen bei Familienhebammen bis Elternbildungsprogramme. Von den Eltern sollten die Kinder lernen, mit Konflikten umzugehen ohne zu schlagen hier müssen Wege aufgezeigt werden. Besonders die Jungen müssen gezielt unterstützt werden, um die Verknüpfung von Männlichkeit mit Dominanz, Härte und Agressivität aufzubrechen und ihre Geschlechterrollen zu bearbeiten.
Täter bestrafen und wegsperren allein ist keine zukunftsfähige Lösung, jugendliche Straftäter brauchen unterstützende Begleitung, um ihr Leben ohne Gewalt wieder auf die Reihe zu bekommen. Prävention, Integration, Bildung, das sind die GRÜNEN Schwerpunkte für eine erfolgreiche dauerhafte Senkung der Jugendkriminalität – im Interesse des Betroffenen, aber auch zum Wohle der Gesellschaft. Ich möchte mich noch einmal bei Ihnen für die verspätete Antwort entschuldigen und freue mich wenn ich Ihnen auch in zukünftigen Fragen Rede und Antwort stehen darf.
Mit freundlichem Gruß
Cornelia Prüter-Rabe