Warum gibt es für social-media-Systeme keine Vorgaben für deren Algorithmen?
Hallo Herr Pantazis,
für die Motor-Software eines Kfz gibt es sehr genaue Vorschriften! Warum gibt es so etwas nicht auch für social-media-Algorithmen, noch dazu wenn sie gesundheits- und/oder demokratiegefährdend sind?
Sehr geehrter Herr N.,
vielen Dank für Ihre Frage, die ich wie folgt beantworten möchte:
Zunächst ist es nicht so, dass es keine Vorschriften für Soziale Netzwerke gibt. Mit der Verabschiedung im Jahr 2017 und der Weiterentwicklung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) im Jahr 2021 hat Deutschland eine Vorreiterrolle übernommen, um geltendes deutsches und europäisches Recht auch in den sozialen Netzwerken durchzusetzen.
Dabei wurden mit dem NetzDG keine neuen Straftatbestände geschaffen, sondern die Plattformen zur Vorhaltung von Vorkehrungen verpflichtet, um die Rechtsdurchsetzung zu verbessern.
Dazu zählen etwa die Vorhaltung von Beschwerdemanagements mit entsprechenden Prüfverfahren, die Benennung eines Zustellbevollmächtigten und regelmäßige Berichtspflichten.
Damit sollen die Plattformen sicherstellen, dass „offensichtlich rechtswidrige Inhalte“ binnen 24 Stunden nach Kenntnis und rechtswidrige Inhalte, die einer Prüfung bedürfen, in der Regel binnen 7 Tagen entfernt werden. Diese Vorgaben sind mit empfindlichen Bußgeldern sanktioniert.
Mit der Weiterentwicklung des NetzDG wurden neben der Stärkung der Nutzerrechte gegen unberechtigte Löschungen die Plattformen gegenüber der Wissenschaft zur Auskunft über ihren Umgang mit Beschwerden und zu automatisierten Verfahren verpflichtet, insbesondere um die Auswirkungen auf gesellschaftliche Kommunikationsprozesse untersuchen zu können.
Da der nationale Gesetzgeber aber bei weltweiten Plattformen an Grenzen stößt, bedarf es vor allem europäischer Regelungen. Gegenwärtig wird auf europäischer Ebene über den Digital Service Act (Digitale-Dienste-Gesetz - DSA) verhandelt. Der DSA wird auch als „Grundgesetz des Netzes“ bezeichnet und soll die mittlerweile über zwanzig Jahre alten Regelungen der e-Commerce-Richtlinie ersetzen. Die im Rahmen der Erarbeitung des DSA diskutierten Regelungsvorschläge orientieren sich über weite Teile an den deutschen Regelungen, gehen aber zum Teil auch darüber hinaus.
So ist beispielsweise verpflichtend für sehr große Onlineplattformen vorgesehen, dass diese jährlich einen Bericht zur Risikoabwägung vorlegen müssen, der systemische Risiken durch die Verbreitung illegaler Inhalte, Auswirkungen auf die Ausübung von Grundrechten und gezielte Manipulation der Systeme untersucht und über getroffene Abmilderungsmaßnahmen wie z.B De-Monetarisierung bestimmter Inhalte informieren soll. Zudem müssen unabhängige Stellen zwecks einer Prüfung der Einhaltung der due dilligence-Pflichten Zugriff zu bestimmten Daten erhalten, Onlineplattformen haben Transparenzpflichten in Bezug auf Vorschlagesysteme und deren Parameter und müssen eine Option zur Nutzung ohne Profiling bereitstellen.
Außerdem soll ein Datenzugang für Behörden und für Wissenschaft und Forschung zur Prüfung eines systemischen Risikos verpflichtend festgeschrieben werden.
Dieser Vorschlag wird derzeit im Trilog zwischen dem Europäischen Parlament, dem Rat und der Europäischen Kommission beraten und die Verhandlungen und das Gesetzgebungsverfahren sollen noch in diesem Jahr abgeschlossen werden.
Diese Regelungen werden auch einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, Transparenz in die algorithmischen Systeme der Social-Media-Plattformen herzustellen und die Rechtsdurchsetzung sowie den Schutz der Demokratie und Öffentlichkeit zu verbessern.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser wird zudem bis Ostern einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorlegen. Dazu zählt auch, dass bei anonym verbreiteten Attacken im Netz, wie etwa beim Chatanbieter Telegram, Hetzer identifiziert und zur Verantwortung gezogen werden sollen.
Aus meiner Sicht ist es auch notwendig, parallel dazu gemeinwohlorientierte, demokratische Alternativen zu Twitter, Facebook und Co. aufzubauen. Das fängt, wie Sie schreiben, schon bei den Algorithmen an, die eine sachliche Debatte fördern oder verhindern können. Voraussetzung dafür ist aber auch ein anderes Geschäftsmodell.
Deshalb muss die Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und dessen europäische Integration die Grundlage für eine solche parallele digitale Infrastruktur bilden. In nationalen Strukturen könnte dies nicht gelingen. Eine öffentlich-rechtliche, europäische Medienplattform kann die Beziehung zwischen neuen und alten Medien, zwischen Plattform und Presse wieder in ein demokratiefähiges Verhältnis setzen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Christos Pantazis