Christoph Diederich
DIE LINKE
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Christoph Diederich zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Torsten L. •

Frage an Christoph Diederich von Torsten L. bezüglich Wirtschaft

Ich habe Fragen zu Ihren Aussagen im Iserlohner Kreisanzeiger vom 08. Mai 2017. Dort schreiben Sie, dass Standards gesenkt werden müssen. Was für Standards sind gemeint? Umwelt-Standards wie Grenzwerte zu Stickstoff oder Neonicitinoide? Sozial-Standards zu Leiharbeit oder Mindestlohn? Steuer-Standards, damit Unternehmen entlastet werden und die steuerliche Last noch mehr vom so genannten kleinen Mann geschultert werden muss? Wie auch immer…diese gesenkten Standards sollen bessere Chancen im Wettbewerb bringen. Ist es nicht so, dass Standards einen Wettbewerb nach unten verhindern? Wir befinden uns bereits jetzt in einem gnadenlosen Wettbewerb. Der reguläre Arbeitnehmer gegenüber dem Leiharbeiter (der ja billiger ist). Deutsche Löhne und Sozialstandards gegenüber Löhnen und Sozialstandards in Rumänien, Fernost oder Afrika (was werden die Menschen dort ausgebeutet!). Wir können doch nicht Wettbewerb und Arbeitsplätze immer als Argument hernehmen. Standards müssen nicht gesenkt, sondern einheitlich sein.
Ihre zweite Aussage, dass die Wirtschaft wieder mehr von der menschlichen Arbeitskraft profitieren soll verstehe ich auch nicht ganz. Eins ist klar: menschliche Arbeitskraft wird zu gering gewertschätzt – sowohl gesellschaftlich und besonders finanziell. Angestellte Handwerker oder Pflegekräfte werden mir zustimmen. Wieso soll die Wirtschaft mehr von der Arbeitskraft profitieren? Wieso nicht der Erbringer?

Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr L.,

ich habe das Problem, dass ich mich nicht so kurz fassen kann um einen komplexen Sachverhalt auf den Punkt zu bringen. Das kann natürlich dazu führen, dass die Presse von sich aus meine vielen Worte so kürzt, dass es zu Mißverständnissen führen kann. Grund für die Kürzung ist die Presseberichterstattung in wenigen Worten. Ich freue mich daher sehr über Ihre Nachfrage zur Klärung, was ich denn nun mit Standard meine.

Grundsätzlich sehe ich ein Standard als eine Regulierung des Wettbewerbs und Standards sind notwendig. Allerdings verhindern einige Standards durch eine zu strenge Auslegung die Vorteile eines freien Wettbewerbs, besonders die des Arbeitsmarktes. Meine Aussage, dass Standards zu senken sind, bezog sich auf die Berichterstattung der Paritätischen als Träger der Daseinsfürsorge in NRW. Speziell im Bereich der Altenpflege fehlt es an passendem Personal obwohl genügend Bewerber vorhanden sind. Besonders wurde betont, dass auch Hauptschüler eine gute Arbeit leisten können und ein gutes Auskommen erzielen können, da sie sozial integer sind und damit das Berufsfeld gut auskleiden. Allerdings ist dieser Personenkreis nicht in der Lage die hohen Ansprüche (Standards) zu erfüllen, welche fachübergreifend notwendig sind. Der Pflegebereich ist eine sehr komplizierte Angelegenheit, da er sich zu einem großen Teil mit der medizinischen Versorgung überschneidet und das medizinische Aufgabengebiet ist sinnvollerweise sehr streng vorgegeben. So darf, nur als erklärendes Beispiel, ein/e Altenpflegehelfer/in nur die reine Pflege betreiben, während ein/e Altenpfleger/in bereits medizinische Aufgaben (z.B. Insulin spritzen) übernehmen darf. Das ist nur sehr grob aufgezeichnet, um einen Sachverhalt besser erklären zu können. In den Details jedoch sind so viele einfache Arbeiten reglementiert, wo der normale Menschenverstand mehr damit beschäftigt ist den Sinn von den Details zu ergründen, statt sich der eigentlichen Aufgabe der fachübergreifenden Pflege zu widmen. Hier entsteht ein gewaltiger Verwaltungsaufwand, der grundsätzlich die Arbeit und vor allem die Qualität der Altenpflege in großem Maß verringert. In diesem Fall müssen Standards verringert werden, damit eine Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufe einem einzigen Zweck dient, dem Wohle des Menschen, und die Arbeitsqualität insgesamt steigert.

Zu meiner zweiten Aussage, dass die Wirtschaft wieder mehr von Arbeitskraft profitieren muss: Der Mensch kann nicht mit der Leistungskraft einer Maschine mithalten, der Wert der einfachen menschlichen Arbeitskraft verfällt mit der Vollautomatisierung der Industrie zunehmend. Zurück blickend: Diese Diskussion fing bereits vor gut 50 Jahren im Bundestag in Bonn an. Wenn wir uns die Anstrengung der Politik bis heute einmal anschauen, wie wir heute in einer immer automatisierteren Umwelt leben müssen, erkennen wir eine zunehmende Spaltung unserer Gesellschaft.

Auf der einen Seite gibt es eine Arbeitnehmerschaft, die immer höhere Arbeitsleistung erbringen muss und nur unter einem sehr hohen Leistungsdruck sein Leben auch finanziell gut gestalten kann. Viele dieser Arbeitnehmer sind damit auch überfordert, erkranken sogar, und bringen kein Verständnis auf, warum allein auf ihren Schultern der Sozialstaat sich aufbauen soll, wo doch so viele Mitmenschen keine Arbeit finden und obwohl wir doch in einer arbeitsteiligen Gesellschaft leben. Paradoxer Weise sind es diese Arbeiter, welche im vollen Bewußtsein durch ihr bereitwilliges Handeln und Wirken zu mehr Leistung, den Wettbewerb noch schneller vorantreiben und ihr Hamsterrad selbstständig immer schneller drehen lassen. Das freut natürlich das Kapital am meisten, wenn sich Menschen selber zu tode strampeln. Hierfür werden die Standards zur Erfüllung permanent an die Leistungsgrenze angepasst und auf eine strickte Einhaltung wird größter Wert gelegt. Wer die Standards nicht erfüllen kann wird aussortiert. Was früher hieß: "Geh doch nach drüben", heißt heute: "Geh doch in Harz IV".

Auf der anderen Seite entsteht eine Bevölkerungsschicht, die an diesem steigenden Wirtschaftsschöpfungsprozess nicht teilhaben können, da sie die sehr hohen Standards der Berufsanforderung schlicht weg nicht mehr leisten können. Diese Bevölkerungsschicht ist der große Verlierer in unserer Gesellschaft, wird in dem Billiglohnsektor systematisch abgegrenzt vom Wohlstand regulärer, teils elitärer Arbeitsverhältnisse und darf sich dann auch noch anhören: "Deutschland geht es gut!". Hier entsteht verständlicherweise eine große Politikverdrossenheit und ein "man selber zählt sich nicht mehr dazu"-Gefühl steigt auf.

Ich bin grundsätzlich gegen die Aufteilung in reicher Arbeiter und armer Arbeiter. Wenn wir von Deutschland reden, darf es nur einen einzigen Arbeitsmarkt geben und dazu gehört auch die Anhebung der Löhne auf eine Höhe, die grundsätzlich ein eigenwirtschaftliches Handeln ermöglichen und dann auch die Abschaffung der "Zeitarbeit im großen Stil" muss neu überdacht werden. Allein, dass es Menschen gibt, welche in Vollzeit arbeiten und trotzdem staatlich unterstützt werden darf es nicht geben! Hier stellt sich mir die Frage: Wieviel ist der Mensch bzw. die menschliche Arbeitskraft in unserer Gesellschaft wert, wenn jemand ohne Aussicht auf Wohlstand trotz Arbeit in Vollzeit sein ganzes Leben lang als Lohnsklave fristen darf und am Ende nur ein Armenbegräbnis drin ist.

Es ist ein Seillauf, der Wirtschaft einen Ertrag durch den Wettbewerb zu gewährleisten, damit die Wirtschaft auch gute Arbeitsplätze schaffen kann und dem Arbeitnehmer ein erträgliches Leben durch guten Arbeitslohn herzustellen. Die Untergrenze des Lohnes als Mindestlohn wird meines Erachtens wohl ehr mit gut gemeinten Vorstellungen, nicht aber durch die tatsächlichen Lebensumstände erbracht. Meine Vorstellung ist, dass langfristig der Mindestlohn wieder an die Tarifautonomie der Gewerkschaften gekoppelt wird, genauso die Renten. Das war einmal so und sicherte uns einen Sozialstaat ohne gesellschaftliche Teilung. Für mich ist das ein wesentlicher Bestandteil eines Sozialstaates in dem alle Menschen gleich sind. Falls hier die Frage auftaucht, wie man so etwas finanzieren will: Wenn in einer Gesellschaft jeder sein Geld verdient soll mit dem er auch auskommen kann und nicht als Arm erklärt wird, dann bitte schön müssen wir es jenen nehmen, die mehr als genung davon verdienen und es denen geben, die es am dringendsten nötig haben. Das Geld hat uns allen zu gehören und nicht einigen wenigen! Hierzu brauchen wir soziale Standards, die die Würde des Menschen grundsätzlich schüzten.

Ich hoffe Ihnen, Herr L., ihre Fragen verständlich beantwortet zu haben. Sollten Sie noch weitere Fragen haben, stehe ich Ihnen jederzeit gerne zur Verfügung. Ich wünsche Ihnen noch eine schöne Restwoche und verbleibe

mit solidarischem Gruß

Christoph Diederich