Wahlprognose - wenige Stimmen entscheiden

In Hamburg haben die Wählerinnen und Wähler am 15. Februar so viel Einflussmöglichkeiten auf die Zusammensetzung ihres Landesparlaments wie in keinem anderen Bundesland. Welche Einflussmöglichkeiten gibt es beim Hamburger Wahlrecht, damit die eigene Stimme möglichst viel zählt? Anhand aktueller Umfragen und der letzten Wahlergebnisse auf Wahlkreisebene wird eine Prognose auf Wahlkreisebene gegeben.

von Redaktion abgeordnetenwatch.de, 06.02.2015

Von Fabian Hanneforth (Team abgeordnetenwatch.de)

In Hamburg haben die Wählerinnen und Wähler am 15. Februar so viel Einflussmöglichkeiten auf die Zusammensetzung ihres Landesparlaments wie in keinem anderen Bundesland. In Hamburg können bei der Wahl zehn Stimmen auf Kandidat*innen und Parteien verteilt werden. Dabei kann man die Stimmen auf eine Person häufeln oder auch Politiker*innen von verschiedenen Parteien wählen. Was nach einem Glücksfall der Demokratie klingt, ist für viele Vertreter*innen der Parteien ein Problem, weil sie nicht mehr davon ausgehen können, über die Listen die von ihnen gewünschten Kandidat*innen ins Parlament zu bekommen. Entsprechend wird das Wahlrecht von den meisten Parteien kritisiert.

Ich möchte mit diesem Beitrag aufzeigen, welchen Einfluss die Stimmeverteilung beim Hamburger Wahlrecht bietet und wie man die eigene Stimme möglichst wirkungsvoll einsetzen kann. Gleichzeitig möchte ich den Kritiker*innen des Wahlrechts zeigen, dass der Einfluss der Parteien doch ziemlich groß ist.

Kurz zur Sitzverteilung: Das Verhältnis der Parteienstärken im Parlament wird mit den fünf Erststimmen ermittelt. Hier gilt eine 5%-Hürde. Wenn man fünf Kreuze bei (verschiedenen) Kandidat*innen macht, zählen die Stimmen für die jeweilige Partei bei der Ermittlung der ihr zustehenden Sitze. Wer die Kreuze bei der Partei macht, hat aber keinen Einfluss auf die Reihenfolge, nach der die Kandidat*innen ins Parlament einziehen.  

Als erstes werden 71 von den (mindestens) 121 Sitzen in der Hamburgischen Bürgerschaft über die 17 Wahlkreise besetzt. Manche Wahlkreise schicken 5 Abgeordnete, andere drei oder vier, je nach Größe. Mit den Zweitstimmen kann man nur Personen wählen, nicht Parteien. Die Summe der Personenstimmen aller Kandidat*innen pro Partei entscheidet, ob ein oder mehrere Kandidat*innen einer Partei, sortiert nach Rangfolge der meisten Personenstimmen, in die Bürgerschaft einziehen. Danach werden die 50 noch offenen Mandate über die Landeslisten verteilt um die jeder Partei nach dem Verhältnis der Erststimmen zustehende Sitzzahl zu erreichen. Da mit den Erststimmen sowohl die Parteiliste als ganzes oder einzelne Kandidat*innen gewählt werden können, wird entsprechend dem Verhältnis Listenstimmen-Personenstimmen ein Teil der noch offenen Mandate nach Reihenfolge in der Liste und ein Teil nach Rangfolge der meisten Personenstimmen verteilt. Da die FDP (oder Walter Scheuerl als unabhängiger Kandidat) nach aktuellen Umfragen ein Wahlkreismandat im Wahlkreis Blankenese holen wird, kommt, falls die FDP an der 5%-Hürde scheitern sollte, ein Sonderpassus zum tragen: eine weitere Partei bekommt ein Mandat mehr, damit eine ungerade Zahl von Abgeordneten in der Bürgerschaft sitzt, also 123.

Die Vorhersage für die Sitzverteilung in der nächsten Bürgerschaft ist hochgerechnet mit der infratest dimap Umfrage vom 29.01.2015 (Es gibt schon aktuellere Umfragen, ich werde diesen Artikel in den nächsten Tagen aktualisieren):

  • SPD: 58
  • CDU: 27
  • GRÜNE: 17
  • LINKE: 12
  • AfD: 8
  • FDP: 1

Wer Erfolg beim Wählen so definiert, dass seine Stimme möglichst die Sitzverteilung im Parlament im eigenen Interesse verändern soll, kann auf einige Punkte achten:

1. Auf jeden Fall immer Personen ankreuzen, nicht Parteien. Wer Parteien ankreuzt überlässt die personelle Zusammensetzung des Parlaments allen anderen Wählern.

2. Die fünf Erststimmen haben für die Sitzverteilung Einfluss auf (a) welche Parteien überhaupt in der Bürgerschaft vertreten sind bzw. an der 5% Hürde scheitern, (b) wie viele Sitze die Parteien jeweils bekommen und (c) welche Personen die 50 oder 51 Sitze bekommen, die nicht über die Wahlkreise ermittelt werden (siehe Punkt 3).

a) Aktuell ist sowohl bei der FDP als auch bei der AfD laut den Umfragen ein Überspringen der 5% Hürde fraglich. Wer diese beiden Parteien unterstützt, sollte natürlich die wählen. Eine Stimme für SPD, CDU, Grüne oder Linke senkt die Wahrscheinlichkeit, dass FDP und AfD ins Landesparlament einziehen. Schaffen es beide Parteien nicht, braucht die SPD ca. 43% bis 46% der Stimmen für die Fortsetzung der Alleinregierung. Sollten es AfD und/oder FDP in die Bürgerschaft schaffen, würde es laut den Umfragen dafür nicht reichen. Kritisch ist es für Wähler*innen, die sich eine Regierungsbeteiligung der Grünen wünschen, aber daran zweifeln, dass eine der beiden Zitterparteien einzieht. Um FDP oder AfD über die 5%-Hürde zu bringen und eine rot-grüne Koalition wahrscheinlicher zu machen, wäre unter diesen Annahmen eine Stimme für die AfD oder die FDP zwanzig Mal so wirksam wie für die Grünen.

b) Es kann schon ein einziges Kreuz dazu führen, dass eine Partei einen Sitz mehr erhält bzw. verliert. Bei der letzten Wahl 2011 hätten die Parteien jeweils einen Sitz gewonnen, wenn 1.300 (Grüne) bis 5.700 (FDP) mehr Wähler*innen ihre Erststimmen diesen Parteien gegeben hätten. Die Parteien hätten jeweils einen Sitz verloren, wenn 500 (FDP) bis 7.400 (SPD) weniger Wähler*innen sie gewählt hätten. Die anderen Parteien lagen jeweils zwischen den genannten Extremwerten. Übersetzt heißt das: 1.300 Anhänger*innen der Grünen können sich ärgern, dass sie 2011 nicht zur Wahl gegangen sind und 500 Wähler*innen der FDP können sich freuen, dass sie es getan haben - so wenig Menschen braucht es, um ggf. die Regierungsmehrheiten zu ändern. Bei dieser Wahl wird es wahrscheinlich bei anderen Parteien so knapp, die Größenordnungen werden aber wieder ungefähr gleich sein.

c) Über die Personen, die die einer Partei zustehenden Sitze bekommen, entscheiden hauptsächlich die Zweitstimmen, aber ein Teil wird auch über die Erststimme entschieden. Das Ergebnis der infratest dimap Umfrage prognostiziert folgende Verteilung der 51 Landeslistensitze auf die Parteien: SPD 25, CDU 8, Grüne 2, Linke 8, AfD 8. Hierbei werden die Plätze im Verhältnis von Kreuzen bei der Partei und Kreuzen bei Kandidat*innen vergeben. 2011 wurden ungefähr gleich viele Erststimmen hinter der Partei und bei den Personen abgegeben. Deswegen wurden auch ungefähr gleich viele Sitze nach der Reihenfolge der Liste und anschließend nach der Reihenfolge der meisten Personenstimmen verteilt. Entsprechend lassen sich auch hier die meisten Abgeordneten schon vorhersagen. Etwa die ersten 12 Kandidat*innen der SPD-Landesliste, die ersten vier der CDU, der erste der Linke und vier der AfD können als gewählt gelten. Achtung: Kandidat*innen, die schon über den Wahlkreis eingezogen sind, werden natürlich übersprungen. Die Abgeordneten, die 2011 als letzte der Reihenfolge der Personenstimmen eingezogen sind, benötigten dafür 600-800 Wählerinnen à fünf Stimmen (also zwischen 3.000 und 4.000 Stimmen). Der Abstand zu den nachfolgenden Kandidat*innen, die nicht eingezogen sind, betrug z.T. nur 100 Stimmen. In der Wahlanalyse des Statistischen Amts ab Seite 45 kann man nachschlagen, wie viele Stimmen ein Kandidat 2011 bekommen hat und ob der eigene Wunschkandidat nah an der relevanten Schwelle ist.

 

3. Die fünf Zweitstimmen entscheiden, (a) welche Partei wie viele Abgeordnete aus den Wahlkreisen in die neue Bürgerschaft entsendet und (b) welche Personen das sind.

(a) In den Wahlkreisen ist schon jetzt ziemlich sicher, welche Partei wie viele Abgeordnete in die Bürgerschaft schicken wird. Wenn, dann ist nur der jeweils letzte Sitz aus einem Wahlkreis fraglich. Unsere Vorhersage ist, dass in den Wahlkreisen die SPD 33 Sitze holt, die CDU 18, die Grünen 15, die Linke 4 und die FDP 1.

Nachfolgende Tabelle zeigt, wie viele Sitze die Parteien jeweils in den 17 Wahlkreise bekommen werden. Grundlage ist die infratest dimap Umfrage vom 29.1.2015 und die Stimmverteilungen in den Wahlkreisen bei der Bürgerschaftswahl 2011. Lesehilfe: Wenn die orange markierte Partei zusätzlich so viele Stimmen erhält, wie in der Spalte "Stimmen" steht, nimmt sie der Partei, die grün markiert ist, einen Sitz weg. Die anderen Parteien brauchen jeweils mehr zusätzliche Stimmen. Die Zahl der Stimmen geteilt durch fünf ergibt jeweils in etwa die Zahl der erforderlichen Wähler*innen für einen Sitzwechsel.

Die Wahlkreise, in denen der letzte Sitz doch noch an eine andere Partei gehen könnte mit den geringsten Abständen:

  • 15 Bergedorf: Linke (ca. 30 zusätzliche Wähler) oder CDU (300) könnten der SPD den 3. Sitz nehmen.
  • 16 Harburg: 600 Wähler könnten einen Sitz für die Grünen von der SPD holen.
  • 12 Bramfeld - Farmsen-Berne: 600 Wähler könnten einen Sitz für die Linken statt Grüne bringen.
  • 17 Süderelbe: 900 zusätzliche Grünen-Wähler könnten einen Sitz von der SPD abnehmen.
  • 14 Rahlstedt: 600 Wähler könnten einen Sitz für die Linken statt Grüne bringen.
  • 2 Billstedt, Wilhelmsburg, Finkwerder: 1.100 zusätzliche SPD-Wähler könnten der Partei einen dritten Sitz bescheren, die Grünen würden leer ausgehen.
  • 11 Wandsbek: 1.100 zusätzliche Wähler für die Linken nehmen den Grünen ihren Sitz in diesem Wahlkreis.
  • 13 Alstertal - Walddörfer: 1.200 zusätzliche FDP-Wähler nehmen der CDU ihren zweiten Sitz ab.

Alle anderen Wahlkreise benötigen 2.000 oder mehr zusätzliche Wähler gegenüber den Meinungsumfragen, was für alle Parteien außer der SPD fast unmöglich scheint. Für das Verhältnis: 2011 wurden zwischen 25.000 (Süderelbe, 3 Sitze) und 62.000 (Alstertal, 5 Sitze) gültige Stimmzettel gezählt.

(b) Auch die Personen, die über die Wahlkreislisten einziehen, lassen sich bereits jetzt mit relativ großer Sicherheit vorhersagen: 2011 sind 63 von 71 Wahlkreisplätzen mit den Kandidat*innen besetzt worden, die an der jeweiligen Stelle der Liste standen.

abgeordnetenwatch.de ist 2004 entstanden, weil bei der ersten Anwendung eines damals sehr ähnlichen Wahlrechts die Frage aufkam, wie Wähler*innen eigentlich wissen sollen, auf wen sie ihre Stimmen verteilen und häufeln können. abgeordnetenwatch.de schließt diese Lücke, indem alle Kandidat*innen transparent und einfach auffindbar aufgelistet sind und öffentlich befragt werden können.

Zum Abschluss noch der Hinweis: Ich bin kein Orakel und kein professioneller Mathematiker. Ich habe die Umfrageergebnisse mit dem Wahlrecht und den Ergebnissen der letzten Wahl verbunden. Ich gebe keine Garantie für Rechenfehler und natürlich auch nicht dafür, dass das Wahlergebnis so wird, wie vorhergesagt. Dieser Artikel soll nur das erfüllen, was ich anfangs versprochen habe: Eine Orientierung geben, was man mit seiner Stimme bei der Wahl tatsächlich bewirken kann in dem Sinne, dass die Sitze anders bzw. anderen Personen zugeteilt werden.

Fragen und Anmerkungen gerne in den Kommentaren. Ich versuche, alles zu beantworten.

Nicht vergessen: Befragt die Kandidatinnen und Kandidaten in Euren Wahlkreisen vor der Wahl auf abgeordnetenwatch.de oder bei Informationsveranstaltungen und macht den KandidatenCheck von abgeordnetenwatch.de.

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