VW warb Lobbyist beim Außenministerium ab (Update)

Recherchen von abgeordnetenwatch.de und dem ARD-Politikmagazin Panorama zeigen, wie eng sich das Auswärtige Amt und Volkswagen in der Abgasaffäre abstimmten. Zentrale Figur beim Krisenmanagement: Ein hoher Regierungsbeamter, der gleichzeitig als Lobbyist für VW arbeitet – und dafür seit vier Jahren Sonderurlaub bekommt.

von Martin Reyher, 31.05.2018
Regierungsbeamter und VW-Lobbyist Jens Hanefeld

„Lieber Herr Steg, lieber Jens,“ begann der Referatsleiter aus dem Außenministerium seine Mail an die beiden VW-Lobbyisten, um dann unverzüglich zum eigentlichen Anliegen zu kommen. Man benötige schnellstmöglich eine Stellungnahme des Konzerns zu drohenden juristischen Konsequenzen in den USA. „Zumindest kurze Sprachregelung. Beste Grüße“.

Der vertraute Ton zwischen dem Beamten aus dem Außenministerium und dem "lieben Jens" von Volkswagen überrascht auf den ersten Blick, auf den zweiten allerdings nicht. Denn beide sind Beamte des Auswärtigen Amtes – mit einem grundlegenden Unterschied: Der eine wird von den Bürgerinnen und Bürgern bezahlt, der andere von Europas größtem Autobauer.

VW-Lobbyjob "im besonderen Interesse des Auswärtigen Amt"

Seit 2014 arbeitet der Diplomat Jens Hanefeld als Leiter der Abteilung "Internationale und Europäische Politik" bei Volkswagen, das Ministerium hat ihn für einen unbekannten Zeitraum beurlaubt. Inzwischen hat Hanefeld kommissarisch auch die Aufgabe des VW-Cheflobbyisten übernommen.

Ein grundsätzliches Problem mit dem Lobbyjob seines Spitzenbeamten vermag das Auswärtige Amt nicht erkennen, im Gegenteil. Hanefelds Tätigkeit bei Volkswagen sei „im besonderen Interesse des Auswärtigen Amtes“, erklärte ein Sprecher gegenüber abgeordnetenwatch.de. „Es handelt sich um eine herausgehobene Position im Bereich der Außenbeziehungen eines global tätigen deutschen Unternehmens.“ Zum Austausch von Beamten in die Wirtschaft gebe es klare Regelungen, die eingehalten würden. 

Anfang Mai hatte abgeordnetenwatch.de erstmals über die Lobbytätigkeit berichtet. Neue Recherchen zeigen nun, dass über Hanefeld auch ein Teil der Kommunikation zwischen Auswärtigem Amt und dem Wolfsburger Autobauer während der VW-Affäre lief.

Auch im Sonderurlaub gelten beamtenrechtliche Grundsätze

Als die illegalen VW-Praktiken am 18. September 2015 durch eine Pressemitteilung der US-Umweltbehörde EPA auffliegen, geht in der Deutschen Botschaft in Washington eine Mail aus dem Auswärtigen Amt in Berlin ein (Betreff: „Mögliches Verfahren gegen VW“). Ein Referatsleiter lässt durchblicken, dass man mit VW in enger Abstimmung ist: „Wir haben den Leiter Regierungsbeziehungen bei Volkswagen [den früheren Regierungssprecher Thomas Steg] und unseren Kollegen Jens Hanefeld befasst, der sich dort um den Fall kümmern wird." [Nachtrag 19.9.2018: Inzwischen hat das Auswärtige Amt die Dokumente nach einer IFG-Anfrage herausgegeben]

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Dass Hanefeld Lobbyarbeit für Volkswagen betreibt, ist alles andere als eine Privatangelegenheit. Auch während seiner Beurlaubung als Staatsdiener ist er an beamtenrechtliche Grundsätze wie das „Wohl der Allgemeinheit“ gebunden. Ein Lobbyjob bei Europas größten Autokonzern ist mit diesen Normen eigentlich nur schwer vereinbar. 

„Von wem hat er die Infos? Hanefeld?“

Mail aus dem Auswärtigen Amt an VW vom 18.9.2015

Nichtsdestotrotz ist Hanefeld eine zentrale Figur beim Krisenmanagement rund um den VW-Abgasskandal. Sein Name taucht in den internen Korrespondenzen des Auswärtigen Amtes von 2015 immer wieder auf. Mal als mögliche Informationsquelle („Von wem hat er die Infos zu den Optionen? Hanefeld?“), mal im Zusammenhang mit einem Gespräch, das Hanefeld am 6. Oktober mit einem Beamten führte. Gespräche des VW-Lobbyisten mit Beamten aus dem Auswärtigen Amt soll es in der Folgezeit noch einige geben. Zwischen September 2015 und April 2017 kam Hanefeld mindestens sechsmal mit Staatssekretären zusammen.

Sprachregelung zur „Volkswagen-Thematik“ für alle Auslandsvertretungen

Anschreiben zur VW-Handreichung des Auswärtigen Amtes

Volkswagen kann sich auf das Auswärtige Amt verlassen. Im Herbst 2015 schickt das Ministerium eine „Handreichung für die Kommunikation betreffend die Volkswagen-Thematik“ an die deutschen Auslandsvertretungen in aller Welt. Das neunseitige Dokument, das zunächst als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ eingestuft wird, dient u.a. der „aktiven Kommunikation im Gastland“, wie es im Anschreiben (Foto) heißt. Zur Sprachregelung gehören Formulierungen wie „Der Dieselmotor ist und bleibt ein wichtiger Baustein der umweltfreundlichen Mobilität“, mit denen die deutschen Botschafter den Imageschaden abmildern sollen.

Gegenüber abgeordnetenwatch.de erklärte das Auswärtige Amt, weder Hanefeld noch VW hätten an der Erstellung des Dokuments mitgewirkt.

Initiative zum Seitenwechsel ging von Volkswagen aus

Hanefeld kennt das Auswärtige Amt seit Jahrzehnten von innen. 1991 trat er als Attaché in den Auswärtigen Dienst. Zwischen 2005 und 2009 leitete der das Büro der Staatssekretäre und wurde schließlich als Gesandter und Ständiger Vertreter des deutschen Botschafters in Washington berufen. 2014 erfolgte der Wechsel zum Volkswagen-Konzern.

Wie Hanefeld gegenüber dem Dienstherrn seinen ungewöhnlich langen Sonderurlaub begründete – üblich sind nach der Sonderurlaubsverordnung für Beamte drei Monate –, will das Auswärtige Amt nicht mitteilen. Dabei dürfte dies äußerst spannend sein. Denn die Initiative für den Wechsel in die VW-Lobbyabteilung ging offenbar nicht von Hanefeld aus, sondern von Volkswagen, wie ein Konzern-Sprecher gegenüber abgeordnetenwatch.de mitteilte. Und „nein“ – sein Unternehmen verbinde keine Erwartungen mit der Beschäftigung des hochrangigen Regierungsbeamten.


Update 6. Juli 2018

Mit welcher Begründung sich Hanefeld für seinen Lobbyjob bei VW freistellen ließ, soll nicht öffentlich werden. Das Auswärtige Amt hat jetzt einen IFG-Antrag von abgeordnetenwatch.de abgelehnt, mit dem wir die Hintergründe des fragwürdigen Sonderurlaubs in Erfahrung bringen wollten. Nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) müssen bei personenbezogenen Daten die betroffenen Beteiligten ihre Zustimmung zu einer Herausgabe der Informationen geben. Hanefeld weigerte sich nach Angaben des Auswärtigen Amtes – genauso wie drei weitere Beamte, die für einen mehrjährigen Job bei Daimler, Telekom und Siemens Sonderurlaub beantragt hatten und nach deren Begründung wir ebenfalls gefragt hatten. "Keiner der Kollegen hat der Herausgabe seiner personenbezogenen Daten zugestimmt", so das Außenamt. "Eine Herausgabe der von Ihnen angefragten Dokumente ist daher ausgeschlossen."

Ausriss eines Schreiebsn des Auswärtigen Amtes

Ausriss aus dem Ablehnungsbescheid des Auswärtigen Amtes


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