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Mike Nagler
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Frage von Jens N. •

Frage an Mike Nagler von Jens N.

Sehr geehrter Herr Nagler,

welche Positionen vertreten Sie und welche Schwerpunkte sehen Sie für Ihre Arbeit auf dem Gebiet/ Politik-Feld der öffentlichen Daseinsvorsorge?
Wie stehen Sie zu ÖPP/ PPP?

Mit freundlichen Gruessen!
Jens Naumann

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Naumann,

vielen Dank für Ihre Frage. Für mich steht die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge an oberster Stelle meiner politischen Arbeit. Eine zukunftsfähige, gerechte und solidarische Gesellschaft kann es für mich nur auf der Basis gesicherten öffentlichen Eigentums geben. Dabei geht es um die zentralen Bereiche eines Sozialstaates - von Bildung und Gesundheit über die Energieversorgung, die Bahn bis hin zur Rente um nur einige Beispiele zu nennen.

Ich betrachte es als eine meiner wichtigsten Aufgaben, daran mitzuwirken, dass die Tendenz der Privatisierung in diesen Bereichen auf kommunaler wie auch auf Bundesebene umgekehrt wird. In einigen Städten ist bereits ein gegenläufiger Trend - also ein Trend zur (Re-)Kommunalisierung erkennbar. Hier will ich ansetzen und weiterarbeiten. Aber auch auf der Bundesebene gilt es, der Verschleuderung öffentlichen Eigentums Einhalt zu gebieten. So muss bspw. die Privatisierung der Bahn endgültig zu den Akten gelegt werden. Gemeinwohlorientierung muss wieder Vorrang vor Gewinnmaximierung und Profitinteressen eingeräumt werden.

Nun speziell zum Thema PPP / ÖPP:

Public Private Partnerships sind eine relativ neue und teure Form der Privatisierung. Mit PPP wird in verschiedenen Bereichen der Daseinsvorsorge versucht zu privatisieren. In Leipzig sollte im Frühjahr ebenfalls im Bereich der Schulsanierung ein solches PPP Projekt verabschiedet werden. Die Befürworter konnten sich glücklicherweise nicht durchsetzen. Ich lehne diese Modelle aus u.a. folgenden Gründen ab. (hier vor allem in Bezug auf Schulen/Bildung, da das in Leipzig bis vor kurzem sehr aktuell war):

- Hintergrund solcher Privatisierungsbestrebungen bspw. im Bildungsbereich sind der große Sanierungsbedarf, die schlechte Ausstattung und die Unterfinanzierung der Schulen bzw. der Kommunen insgesamt. (Die Ursachen sind die Gleichen wie bei anderen Privatisierungsdebatten.)

- Bei PPP handelt es sich um eine langfristige Bindung umfänglicher öffentlicher Gelder (20 Jahre und mehr). Es handelt sich um eine kaschierte Neuverschuldung.

- Oft werden bei PPP Projekten 15 – 20% Kostenersparnis propagiert. Im Regelfall ist PPP aber teurer als Bauen in eigener kommunaler Regie, da eine Vielzahl an Finanzierungs- und Beratungskosten mitgetragen werden müssen.

- PPP führt zu kommunalem Personalabbau und prekärer Beschäftigung in der Gebäudebewirtschaftung (Hausmeister, Reinigungsdienste, Haushandwerker).

- Durch PPP wird demokratische öffentliche Diskussion und Kontrolle beseitigt, da die Trägergesellschaften regelmäßig die Geheimhaltung des Vertrags und erst recht ihrer Verträge mit Subunternehmen fordern. Ebenso wird regelmäßig die sogenannte »Forfaitierung mit Einredeverzicht« vom kommunalen Vertragspartner verlangt, was bedeutet, dass die Trägergesellschaft ihre (Leasing-) Forderungen auf den Finanzmärkten weiterveräußern und damit sofort realisieren kann, womit die Kommune darauf verzichtet, Druck auf die Trägergesellschaft ausüben zu können. Die Stadt nimmt somit zwar formal nicht selbst einen Kredit auf, aber sie zahlt den Kredit zurück, den der Investor aufgenommen hat. Sie verschuldet sich also auf diesem Umweg zusätzlich. Und sie übernimmt praktisch alle wichtigen Risiken des Investors. Die Stadt stimmt übrigens auch zu, dass die Bank den Vertrag an andere Kreditinstitute weiterverkaufen kann. Aus Mietverträgen werden Finanzprodukte, das ist der Sinn von PPP.

- Eine Stadt ist nicht in der Lage, die Entwicklung der Schülerzahlen über 10 oder mehr Jahre zuverlässig zu prognostizieren, lässt sich aber durchaus zuverlässig auf 25 oder 30-jährige Zahlungszusagen ein.

- Tatsächlich führt der sogenannte »Lebenszyklusansatz« der PPP-Projekte mit einer Laufzeit von im Schnitt 25 Jahren dazu, dass am Ende des Projekts nach aller baufachlicher Erfahrung ein neuer besonders großer Renovierungs- oder Neubaubedarf zu erwarten steht.

- Das Handwerk wehrt sich zu Recht gegen diese Modelle. Erfahrungen mit PPP in Braunschweig, Offenbach und vielen anderen Städten zeigen, dass als Subauftragnehmer nur Billiglöhner Aufträge bekommen. Mindestlöhne? Es geht um Gewinnmaximierung auf Kosten des regionalen Handwerks.

- Tatsächlich ist PPP nichts anderes, als eine Umgehung der Begrenzungslinien für öffentliche Schulden. PPP ist die kommunale Schuldenfalle schlechthin.

Deutschlandweit setzt sich aber inzwischen die Vernunft immer mehr durch. Sogar der Bundesrechnungshof warnt in seinen Studien vor diesem, von Bundesverkehrsminister Tiefensee noch immer wie warme Semmeln angebotenen Finanzierungsmodell.

Ein paar Beispiele: In Offenbach betreibt ein privates Konsortium neunzig Schulen. Vor der Privatisierung gab der Landkreis jährlich rund dreißig Millionen Euro pro Jahr für diese Schulen aus, mittlerweile zahlt er fast das Doppelte. Laut PPP-Vertrag darf er „keine Einrede bei Mängeln üben“ und muss in jedem Fall die Miete bezahlen.

Chemnitz und Berlin haben sich auf der Basis derartiger Erfahrungen von PPP als Finanzierungsmodell verabschiedet, weil die Risiken und Folgekosten für die Kommune als zu hoch eingeschätzt werden. Auch in Freiburg war 2006 die Stadtkasse leer und es sollten PPP Projekte angeschoben werden. Das Interessante: Das Regierungspräsidium Freiburg hat das PPP-Projekt damals schon mit der Begründung abgelehnt, es käme einer verdeckten Kreditaufnahme gleich und erhöhe damit den Schuldenstand.

Das Problem ist aber, dass auf Bundesebene diese Modelle noch immer weiter vorangetrieben werden. Diese Praxis soll nun durch ein neues PPP Beschleunigungsgesetz des Bundestages weitergetrieben werden! Seit März 09 liegt ein Antrag der SPD und CDU Fraktion im Bundestag zur Verabschiedung dieses Gesetzes vor. In diesem Gesetzesvorhaben wird verlangt, dass den privaten "Partnern" bei PPP- Verträgen auch noch die Umsatzsteuer auf Ihre Dienstleistung erstattet wird, damit sie diese Leistung der jeweiligen Kommune "billiger" anbieten können. Die 19% Umsatzsteuer auf alle Lohnleistungen machen die Dienstleistungsangebote im Kostenvergleich (Gegenüberstellung: Eigenleistung - PPP) natürlich immer teuerer, als wenn die Öffentliche Hand die Aufgabe selbst -ohne Umsatzsteuer- erledigen lässt. Das ist immer dann der Fall, wenn ein hoher Lohnanteil in der Aufgabenerledigung liegt. Durch das neue Gesetz - mit dem Punkt "Umsatzsteuererstattung" würden z.B Aufgaben in Bildung , in Krankenhäusern, bei der Pflege für private Anbieter noch mehr als bisher lukrativ und diese Bereiche mit allen negativen Folgen, die jeder mittlerweile kennt, der Gewinnmaximierung ausgeliefert.

Es geht den Beratern und den Abgeordneten von CDU und SPD, die im Bundestag diesem Vorhaben zugestimmt haben darum, per Gesetz die Möglichkeit zu schaffen, daß private Konzerne durch Verzicht des Staates auf die Umsatzsteuer in Zukunft den Zuschlag für die Aufträge der Kommunen erhalten, die bisher öffentlich und ohne Rendite erledigt wurden. Das ist ein Frontalangriff auf den Sozialstaat und das Gemeinwesen!

Die Ursache liegt auch bei PPP vor allem in der jahrelangen Unterfinanzierung der Städte und Gemeinden. Wenn die Städte entsprechend ihrer gesetzlichen Aufgaben auch finanziell ausgestattet wären, dann würden kommunale Entscheidungsträger gar nicht auf die Idee kommen solche riskanten Geschäfte abzuschließen. Hier muss etwas passieren - die Kommunen dürfen nicht länger benachteiligt werden. Eine Gemeindefinanzreform, die die Städte und Gemeinden wieder in die Lage versetzt ihre Aufgaben zu erfüllen, ist dringend notwendig. Das ist einer meiner Schwerpunkte die ich in den Bundestag tragen will.

PPP spielt nicht nur auf kommunaler Ebene eine Rolle sondern auch bundesweit bspw. beim Bau und der Betreibung von Autobahnen. Ich kann und möchte aber hier nicht auf alles detailiert eingehen. Mehr zu PPP finden Sie auf den Seiten unseres bundesweiten Netzwerks von Bürgerinitiativen die sich für das Gemeinwohl einsetzen. (APRI-Netzwerk - http://kommunal-ist-optimal.de/index.php/PPP)

Beste Grüße,

Mike Nagler