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Lothar Binding
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Frage von Christian H. •

Frage an Lothar Binding von Christian H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Binding,

zur Zeit findet eine der größten Reformen in der Geschichte der europäischen Union statt.
Es geht um die neue EU-Verordnung zur Regelung des Datenschutz in der EU. Dieser soll EU-weit vereinheitlicht und an die Erfordernisse des 21. Jahrhunderts angepasst werden.

Wie heute auf n-tv zu lesen war, aüßerte sich EU-Justizkommissarin Viviane Reding vor wenigen Tagen besorgt über die hinter den Kulissen stattfindende Lobbyarbeit ( http://www.n-tv.de/politik/Blog-deckt-Lobbyeinfluss-auf-article10103291.html ).

Der gutjahr Blog entdeckte zudem, dass Gesetzesvorlagen aus der Feder großer Konzerne anscheinend von manchen Abgeordneten 1 zu 1 übernommen wurden. Darin enthalten war die Streichung wichtiger Artikel zur Stärkung der Verbraucher, wie Artikel 79, der Firmen bei einem Verstoß empfindlichen Geldstrafen auferlegt ( http://gutjahr.biz/2013/02/lobbyplag/ ).

Da die FDP den Verbraucherschutz bisher immer hoch hielt, würde es mich interessieren, wie Sie zu der neuen EU-Verordnung und den massiven Einfluss der Großkonzerne auf die Entscheidungsfindung stehen.

Mit freundlichen Grüßen
C. Höhn

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Höhn,

vielen Dank für Ihre Frage. Ich habe mich – am Beispiel des Nichtraucherschutzes – in den vergangenen Jahren schon häufig sehr kritisch mit dem Einfluss von Unternehmen und Verbänden auf die Entstehung von Gesetzen auseinander­gesetzt. Sie finden dazu Einiges auf dieser Seite sowie auf meiner Homepage. Deshalb zitiere ich nachfolgend eine kurze Passage aus meinem Buch „Kalter Rauch“, die meine Erfahrungen mit dem Einfluss der Tabaklobby auf den Gesetzgebungsprozess für das 2010 beschlossene Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen beschreibt:

„In dieser Phase hatten die Parlamentarischen Geschäftsführer von CDU/CSU und SPD, Norbert Röttgen und Olaf Scholz, zu einer kleinen Arbeitsgruppe eingeladen, die aus nur acht Personen bestand. In dem Gespräch ging es um die Einsetz­ung der Koalitionsarbeits­gruppe zur Kompromissfindung und zur Formulierung eines Gesetzesvorschlags. Das hatten die Fraktionsvorsitzenden Peter Struck und Volker Kauder, deren Aufgabe es ist, solche Prozesse zu steuern, so besprochen. Es galt also auch, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer für die Arbeitsgruppe festzulegen.

Ich habe nicht schlecht über den Vorschlag gestaunt, dass in der klei­nen Runde zur Erarbeitung eines Gesetzes zum Nichtraucherschutz die tourismuspolitischen Sprecher beider Fraktionen mitarbeiten sollten. Es gibt keinen direkten fachlichen oder inhaltlichen Bezug zwischen Tourismus und Gesundheits- bzw. Arbeitsschutz – obwohl ... Der DEHOGA [Deutscher Hotel- und Gaststättenverband] pflegt, wie oben schon erwähnt, engste Verbindungen zu den Tourismuspolitikern aller Fraktionen und arbeitete mit allen Mitteln gegen ein solches Gesetz. […]

Das Gespräch fand statt im Jakob-Kaiser-Haus, Zimmer 5.317, einem Besprechungszimmer von Herrn Röttgen. Auf dem ovalen Tisch lag ein fertiges Papier, seltsam für das allererste Treffen einer Arbeitsgruppe, die ja lediglich eine weitere Arbeitsgruppe in ihrer Zusammensetzung definieren sollte, die dann autorisiert gewesen wäre, Vorschlä­ge zu erarbeiten. Noch einmal: Dies war noch nicht die Arbeitsgrup­pe, die einen Gesetzesvorschlag erarbeiten sollte, dies war die Arbeitsgruppe zur Erarbeitung des Auftrags für eine solche Arbeitsgruppe. Also die absolute Frühphase einer Gesetzesinitiative.

Das Papier war ein Eckpunktepapier. Neben vielen Vorschlägen, die wieder­holt­en, was sich schon lange nicht mehr verhindern ließ, etwa Rauchverbot in Schulen, enthielt das Papier auch einige in sich völlig unsinnige Vorschläge, die zum Ziel hatten, das Rauchverbot in Gast­stätten zu verhindern. Es ließ sich nicht feststellen, wer dieses Doku­ment auf diesen Tisch gezaubert hatte. Ein Papier, dem man leicht ansehen konnte, dass der Briefkopf beim Kopieren abgedeckt wor­den war. Der Verantwortliche konnte nicht wissen, dass ich anhand des Layouts, der Schrifttypen, aber noch viel stärker anhand der Formulierungen und Inhalte, die ich auf Punkt und Komma kannte, leicht erkennen konnte, dass dies ein Papier des VdC [Verband der Cigarettenindustrie] war.“

Sie bemerken sicher, wie groß mein Ärger ist, wenn Lobbyisten Einfluss auf uns und die Gesetzgebung nehmen. Deshalb unterstütze ich auch die Arbeit von Lobbycontrol, eine Initiative für Transparenz und Demokratie. Auch wenn die Grenzziehung nicht immer einfach ist, meide ich Kontakt zu Lobbyisten, die sich für Drogen oder Rüstung einsetzen. Grundsätzlich versuche ich im Nachgang zu einem Gespräch mit einem Lobbyisten die entsprechenden Gegenlobbyisten zu finden und zu sprechen.

Ob die FDP „den Verbraucherschutz bisher immer hoch hielt“, mögen Sie aus Ihrer Perspektive selbst entscheiden; aus meiner Perspektive ist das falsch. Die FDP erweckt den Anschein dies oder das für die Allgemeinheit bzw. das Gemeinwesen zu tun – nach meiner Beobachtung folgt die FDP tatsächlich fast immer bestimmten Lobbygruppen – im Zweifelsfall auch nur um sich selbst zu bedienen auf Kosten des Staates. Die innenpolitischen Expertinnen und Experten der SPD-Bundestagsfraktion, der ich angehöre, haben einen interessanten Antrag „Europäische Harmonisierung im Datenschutz auf hohem Niveau sicherstellen“ (Bundestagsdrucksache 17/11144) vorgelegt, auf den ich Sie in diesem Zusammenhang verweise.

Mit freundlichem Gruß, Lothar Binding